Herr A. oder das etwas andere Corona-Symptom

04.12.2020

„Eigentlich kam Herr A. nur wegen seiner Frau. Sie sorgte sich. In den vergangenen Wochen klagte der Angestellte beim Tiefbauamt über starkes Herzklopfen. Nicht, dass das Herz nicht mehr mitmacht? Also saß der zweifache Vater vor ein paar Tagen in meiner Praxis und erzählte von dem seltsamen Gefühl am Herz. Es schlage schneller, vielleicht auch stärker als sonst. Ja, und dieses Ziehen in der Brust, mal links, mal rechts. Wenn die Frau nicht gegoogelt hätte, dann wäre er wohl nicht gekommen. Aber sie sei auf Begriffe wie Herzinfarkt oder Lungenprobleme gestoßen. 

Ich schaue mir seine Krankenakte an. Keine Organerkrankungen liegen vor, der Mann nimmt keine Medikamente. Können Sie mein Herz untersuchen? Oder muss ich vielleicht doch zu einem Spezialisten? Sie sind sportlich, sage ich zu meinem Patienten. Auch bestehen keine Risikofaktoren und Sie sind nicht erblich vorbelastet, sage ich. Ja, das mit dem Sport, antwortet mein Patient. Seit den Kindern ist es weniger geworden und jetzt in der Coronazeit komme ich gleich gar nicht mehr dazu. 

Ja, das höre ich öfter zurzeit, bestätige ich. Dann erzählt Herr A. von den Kopfschmerzen, die ihn in den letzten Wochen plagten, dass er abends erschöpft sei und sich nicht aufraffen könne. Das sei früher nicht so gewesen. 

Arbeiten Sie mehr oder weniger als sonst?, frage ich. 

Dann sprudelt es regelrecht aus ihm heraus. Er habe Gottseidank noch Arbeit, obwohl es weniger Aufträge gebe im Moment. Alles sei chaotisch und weniger planbar. Um Geld zu sparen, habe man im Unternehmen rationalisiert. Somit verteile sich die Arbeit schon seit Monaten auf weniger Leute. Er arbeite für zweieinhalb Menschen, das sei eigentlich verrückt. Ja, und dann komme er abends heim und dann seien da die Kinder. Er müsse seine Frau unterstützen, die arbeite im Moment ja auch mehr als sonst. 

Als er erzählt, dass er die schrillen Kinderstimmen nicht aushalte, schämt er sich merklich. Die Situation sei angespannt zuhause. Er schlafe schlecht, wache öfters auf und die Gedanken kreisten. Und dann sei da immer wieder dieses Gefühl in der Brust. 

Ich befrage ihn nochmals eingehend zu seinen Herzproblemen und untersuche den schlanken Mann. Nichts Auffälliges bis auf den verspannten Nacken und fast betonharte Rückenmuskeln. Ich komme zum Schluss, dass bis auf eine verstärkte Wahrnehmung des Herzschlages gerade in den Abendstunden sonst keine weiteren gefährlichen und abklärungswürdigen Symptome vorliegen. Dennoch einigen wir uns darauf, ein EKG und eine kleine Blutuntersuchung für das persönliche Sicherheitsbedürfnis durchzuführen. Das EKG zeigt keinerlei Auffälligkeiten,  beruhige ich meinen Patienten, aber spüren Sie eigentlich selbst, dass ihre Rückenmuskeln sehr hart sind?

Mein Patient steht von der Untersuchungsliege auf und zuckt plötzlich zusammen. Was ist das?, fragt er besorgt und greift sich an den Rücken. Ich habe Mitleid mit ihm, mein eigener Hexenschuss liegt erst ein paar Wochen zurück. Schade, dass ich heute keinen Studenten bei mir habe, sage ich im Scherz, Sie bieten in 30 Minuten verschiedene Beschwerden, die wir mit Stress und körperlicher Anspannung gut erklären können. Einen Hexenschuss sozusagen noch live während der Untersuchung obendrauf, das hat in den letzten sechs Monaten noch keiner geboten. 

Herr A. schmunzelt zum ersten Mal, seit er die Praxis betreten hat. Dann sagt er, dass er so gerne wieder mit seinen Freunden zum wöchentlichen Fußballspielen gehen würde. Das fehle ihm gerade sehr. 

Ich erkläre dem Patienten, wie wir den Hexenschuss behandeln, und schreibe ihn drei Tage krank. Dann gebe ich ihm einen weiteren Termin mit, an dem Gespräche über Selbstsorge, Stressmanagement und Familiensituation folgen werden. 

Danke, sagt Herr A., auf Wiedersehen. 

Als Hausarzt bin ich Anlaufstelle für vielfältige Symptome und Fragestellungen. Corona ist auch hier eines der drängendsten Themen. Nicht immer sind es aber die typischen Corona-Symptome Fieber, Husten, Atembeschwerden, über die Patienten berichten. Manchmal sind es auch andere Symptome, die durch Lockdown und Einschränkungen ausgelöst werden. Corona hat viele Gesichter, und das ist eines davon.”

Dr. Oliver Durnwalder, Hausarzt/Sportmedizin in Chur

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